Frank Nitsche: Die Distanz dringt in den Körper ein

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© 2020 by Frank Nitsche

Locked in - Ein Magazin über die Abriegelung
„Mich erinnert Corona ein wenig an die DDR… Man bestimmt seinen Raum und seine Konstruktionen.“
Künstler:  Frank Nitsche
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Ist Corona ein Gefängnis für die Kunst? Kann ein Maler malen, dem die Welt vorenthalten wird?
Ich denke eher, dass die Corona-Zeit nicht schlecht ist für die Kunst. Man ist ohne Ablenkung. Ich bin gern im Atelier. Der Tagesablauf ist konzentriert. Ich stehe auf, bin einige Stunden online, aber dann bewege ich mich zielgerichtet und ohne Umwege ins Atelier und arbeite. Die Welt sind die Menschen auf dem Weg dahin. Ich komme gut durch die Krise, die übrigens heute, in dem Moment, in dem wir hier sprechen, erst vier Monate dauert. Für ein so langsames Medium wie die Malerei ändert sich in vier Monaten nichts. Am Ende stehe ich allein im Atelier. Das war vor dem Lockdown nicht anders.
Aber wir werden verfolgt mit Informationen. Grafisch ist die Welt nun eine Ansteckungskurve, ein Bündel von Ansteckungskurven, die täglich reproduziert und fortgeschrieben werden.
Natürlich gucke ich mir Kurven an. Allerdings war meine Malerei schon immer ein Bündel von Kurven. Ich sehe mir Kurven an, weil ich mir immer Kurven ansehe. In jedem meiner Bilder ist eine Diagrammlinie enthalten. Kurven sind mein Arbeitsmaterial.
Ein Kurven-Star empfindet Kurven als etwas Familiäres. Aber die Kurven vervielfachen sich jetzt bis zur Kurvenblödigkeit.
Die Zeit ist viel zu kurz, als dass Graphen und Kurven und gerade eben gesehene Illustrationen in die Malerei eingehen würden. Ich glaube nicht einmal, dass das sofort etwas macht mit jemandem. So schnell ist weder das Denken und Empfinden noch das Malen als Prozess. Was sich gerade abbildet, ist deshalb auch nicht sofort in der Produktion zu sehe. Malerei ist ohnehin ein besonders langsames Medium, das nicht von einem Augenblick zum anderen auf einen Lockdown reagiert wie eine Performance.
Aber die Kurven haben sich emanzipiert. Sie sind Hauptdarstellerinnen geworden. Es waren nur wenige Wirklichkeits­ausschnitte, die aus den letzten Monaten hängen blieben. Die Kühllaster in Manhattan, als die Leichenhallen die Toten nicht mehr aufnehmen konnten. Bilder aus Krankenhäusern. Den täglichen Auftritt aber hatte der Virologe mit der Statistik.
Zahlen vor allem. Die Macht hatte die Zahl. Ich bin Zahlen gegenüber sehr skeptisch. Ich halte Zahlen nicht wirklich für aussagekräftig. Ich bestreite nicht die Befunde, die sie ausdrücken sollen. Aber ich müsste ja die Verhältnisse, die mit den Zahlen beschrieben werden, begreifen. Wie wird ein Verhältnis von 1:100.000 anschaulich? Kann ich als 1 mich in Beziehung zu den 100.000 setzen? Mich interessiert mehr, was das mit den Leuten macht. Die Distanz interessiert mich, die aus den Zahlen und Kurven und den Vorsichts­regeln entsteht. Die Distanz, die sich eher schleichend ausbreitet. Noch sind die Menschen nicht sehr distanziert. Es ist in einer Art Schwebe. Aber ich habe Angst vor der Distanz, die sich nach einem halben Jahr aufbaut. Die Distanz, die in den Knochen stecken bleibt und die sich nicht ohne weiteres wieder aufbrechen lässt, wenn Corona irgendwann einmal zu Ende sein sollte.
Die einen haben Furcht und zwingen sich zu Abstand. Sie gewöhnen sich an die Disziplin. Die anderen begehren dagegen auf.
Je länger bei denen, die Furcht haben, dieser Zustand der Distanzdisziplin erhalten bleibt, desto mehr wird sie dieser Zustand prägen. Man verinnerlicht das körperlich. Es ist ein körperlicher Prozess. Die Distanz dringt in den Körper ein. Es wird sich eine Distanz ausbreiten, die ich fürchterlich finde. Wenn Corona ein Jahr dauert, wird die Distanz alles Zwischenmenschliche verändern. Davor habe ich Angst. Aber noch ist es zu kurz, um diese innere Veränderung wahrzunehmen und zu reflektieren.
Die körperliche Erfahrung verändert sich. Malen ist körperlich. Aber verschwinden nicht auch Orte? Orte der Mischung? Die Grauzonen des Unhygienischen? Löst sich das Informelle auf, wenn die Paarbeziehung zum Passierschein wird? Wenn die Kleinfamilie zum Schutzraum verklärt wird?
Selbstverständlich läuft alles weiter, wie es war. Informell, hinter vorgehaltener Hand, während man in der Öffentlichkeit in die Armbeuge hustet. Aber die Orte, die das Informelle schützen und ihm eine Bühne geben, verschwinden. Die, die ausbrechen wollen, sind ausgesperrt. Ich will mir gar nicht ausmalen, welche Psychosen da gerade entstehen. Es ist zum Fürchten.
Triebabfuhr ist das eine. Die andere Frage ist die Frage nach der mentalen Selbstverkitschung im Denken über Beziehungen und Lebensmodelle. Was passiert mit denen, die aufs Alleinsein zurückgeworfen sind in einer verschlossenen Welt?
Die Cruising Areas sind trotzdem voll. Die Leute holen sich schon ihren Spaß. Aber ich sehe in der S-Bahn schon die mentalen Ausnahmezustände. Die Kapitulation vor der Spießig­keit macht Leute verrückt. Manche tragen drei Schals um den Kopf gewickelt und rennen erschrocken durch den ganzen Zug, wenn sie angelächelt werden. Alle bauen Mauern auf.
Aber ist die Malerei immun dagegen? Verändert sie sich nicht schon deshalb, weil sie nicht mehr wahrnehmbar ist?
Ich zeige meine Malerei immer nur einem begrenzten Kreis. Mich erinnert Corona ein wenig an die DDR. Die Hände sind einem gebunden, man ist zurückgeworfen auf seine Privatheit. Man ist in seinem eigenen Raum unterwegs, in dem eben nicht die ganze Welt verfügbar ist. Verfügbar ist nur das Feld, das man selbst bestellt.
Man konstruiert sich ohnehin seine eigenen Räume.
So ähnlich. Man bestimmt seinen Raum und seine Konstruktionen. Ich habe im Rahmen meiner Möglichkeiten meine Koordinaten und komme da nicht heraus. Es gibt gar keine andere Möglichkeit, als in diesem Raum zu machen, wofür ich mich entschieden habe.
Aber ging es da, wo die DDR eine Bohème-Enklave war, nicht um die ständige Verhandlung von Beziehungen? Wer reingelassen wurde und wer draußen bleiben musste?
Corona ist halt nun die ganze Welt.
Dann bist Du privilegiert. Du malst nicht die Staatsaktionen und baust keine öffentlichen Räume um. Du schärfst den Sinn für die Binnenverhältnisse. Du förderst die Emanzipation der Ränder und Säume.
Corona ist da. Und ich kann sagen, dass ich vorbereitet bin.

 

Seit 2020 veröffentlicht der BKV Potsdam parallel zu unseren anderen Projekten ein unregelmäßig erscheinendes Magazin, das wir zugleich immer wieder in Ausstellungsformaten präsentieren. Wir fragen in diesem Projekt Künstlerinnen und Künstler nach ihren Erfahrungen mit Pandemie und Lockdown. Wir publizieren Aussagen und Interviews, Zwischenrufe und Widerreden. Immer wieder wird der Ausstellungsraum dabei zu einer Wandzeitung dieses Dialogs, zu einen Schaukasten subjektiver Erfahrungen und Reflexionen. Mehr zu Locked in und weitere Künstlertexte: Hier


© 2020 by Frank Nitsche / BKV Potsdam

Mittwoch, 5. August 2020