Tagung: Ostdeutsche Kunstvereine - wie Kunstvereine in Zukunft agieren können

Im Oktober 2010 versammelten sich in Potsdam die Vertreter ostdeutscher Kunstvereine und wenden sich gegen eine Kunstförderung zweiter Klasse. Sie fordern eine neue Kulturpolitik für die Neuen Länder, die anders als bisher als langfristige und nachhaltige Produktionsförderung verstanden werden soll.
Projekte: 
Eine Tagung des Brandenburgischer Kunstvereins Potsdam in Kooperation mit dem Fonds Neue Länder der Kulturstiftung des Bundes am 29./30. Oktober 2010
Konzeption und Moderation Gerrit Gohlke, BKV

Mit Denise Ackermann, riesa efau. Forum für Kunst und Gesellschaft e. V., Dresden, Silke Albrecht, Brandenburgischer Kunstverein Potsdam e. V., Potsdam, Michael Arzt, HALLE 14 e. V. , Leipzig, Barbara Buchmaier, Kunstkritikerin, Berlin, Frank Eckhardt, riesa efau. Forum für Kunst und Gesellschaft e. V., Dresden, Regine Ehleiter, D21 Kunstraum Leipzig e. V., Leipzig, Eva Maria Gauß, Kulturstiftung des Bundes, Halle (Saale), Gerrit Gohlke, Brandenburgischer Kunstverein Potsdam e. V., Potsdam, Carsten Hensel, Brandenburgischer Kunstverein, Potsdam e. V., Potsdam, Dr. Alexander Klose, Kulturstiftung des Bundes, Halle (Saale), Mathias Lindner, Neue Chemnitzer Kunsthütte e. V., Chemnitz, Dr. Astrid Mania, Brandenburgischer Kunstverein Potsdam e. V., Potsdam, Benoit Maubrey, Kunstpflug e. V., Bad Belzig, Bettina Mittelstraß, Tagungsbeobachterin, Potsdam, Frank Motz, ACC Weimar e. V., Weimar, Dominikus Müller, Journalist und Kunstkritiker, Berlin, Christin Müller-Wenzel, Kunstverein »Talstrasse« e. V., Halle (Saale), Susken Rosenthal, Kunstpflug e. V., Bad Belzig, Jan Schilling, Tagungsbeobachter, Leipzig, Britt Schlehahn, Kunstverein Leipzig e. V., Leipzig, Uta Schnell, Kulturstiftung des Bundes, Halle (Saale), Peter Zorn Werkleitz Gesellschaft e. V., Halle (Saale).


Im Oktober 2010 versammelten sich in Potsdam die Vertreter herausragender ostdeutscher Kunstvereine, um neue Wege in der Kulturpolitik zu fordern. Sie monieren eine Kulturförderung zweiter Klasse. Sie mache die Standorte in den Neuen Ländern unsichtbar in der deutschen Kunstszene und stehe einem verstärkten Bürgerengagement für Bildende Kunst im Wege. Die Tagung zeigte schlüssige Auswege aus der drohenden Provinzialisierung auf.


Und das war alles? Ein Querschnitt der exzellentesten ostdeutschen Kunstvereine kommt zu einem Gipfeltreffen zusammen. 25 künstlerische Leiter, Journalisten und Kulturförderer gehen in Klausur, um über die Zukunft der Kulturförderung in den neuen Bundesländern zu debattieren – und das Ergebnis scheint vorhersehbar und wenig originell. Mehr Vernetzung fordern die Vereinsvertreter, immerhin erfahrene Repräsentanten reputierlicher Vereine mit besten Verbindungen. Mehr Geld wollen sie außerdem. Auch diese zweite Forderung kann niemanden überraschen, selbst wenn die zusätzlich benötigte Förderung eben nicht in die Institutionsförderung fließen soll, die bei den ostdeutschen Vereinen im Durchschnitt immerhin weit unter den in Westdeutschland üblichen Förderhöhen liegt, sondern für die Finanzierung neuer künstlerischer Produktionen gewünscht wird. Es geht nicht um eine Aufpolsterung bestehender Pfründe. Der Wunschzettel, den die Kunstvereine beim Werkstattgespräch des Brandenburgischen Kunstvereins Potsdam und der Kulturstiftung des Bundes zu Protokoll geben, könnte auch von einem Unternehmertag der Kreativindustrie stammen: Infrastruktur und Investitionen werden verlangt, und zwar als berechenbare Größe über den Tag hinaus. Alexander Klose, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung, war das Unbehagen anzusehen. Projektförderung gibt es doch schon. Und wenn es an Vernetzung fehlt? "Warum macht das denn dann niemand?"

Doch einfache Fragen erfordern manchmal schwierige Antworten. Und umgekehrt bringen komplexe Problemstellungen zuweilen geradlinige Lösungswege hervor. Denn was die Vertreter der Kunstvereine eigentlich wünschten, war nicht allein Geld. Es war eine Veränderung der Beschaffungs- und Verteilungswege für kulturelle Förderung an Standorten, an denen schnelllebige Projekte nichts, die nachhaltige Pflege des Publikums, die langfristige Gewinnung neuer Nutzerschichten und die Entstehung einer international konkurrenzfähigen Produktionsinfrastruktur aber alles bedeuten. Gewünscht war eine Modernisierung der Beurteilungskriterien für förderungswürdige Kunst. Gesucht wurde nach spezifischeren Förderinstrumenten in den ostdeutschen Bundesländern mit ihrem unübersehbaren Nachholbedarf auch zwanzig Jahre nach der Wende. Und beklagt wurde einhellig, dass die kommunalen und regionalen Verwaltungen häufig qualifizierte Urteile träfen, von der Politik aber ihrerseits nicht genug Rückhalt bekämen. Die qualifizierte Produktion und Vermittlung Bildender Kunst habe lokal und regional keine ausreichende Priorität. Als von Stiftungsseite die "Vitalität" der "einzigartigen Struktur" gelobt wurde, die von den Kunstvereinen geschaffen werde, klang das deshalb für manchen Vereinsrepräsentanten bereits wie eine Provokation – weil die seit Jahren zu geringe Förderung der einzelnen Institutionen eine professionelle Programmplanung und die Sicherung qualifizierten Personals so sehr erschwert, dass die Entwicklung zukunftsfähiger neuer Strategien für die Vereine meist kaum noch zu leisten ist.

Es gehe deshalb darum, so war es Konsens beim Werkstattgespräch, auf den Strukturwandel des Kunst- und Kulturbetriebs und der kulturell interessierten Öffentlichkeit mit einem breiten Netzwerk qualifizierter Kunstvermittlung zu antworten und die Vereine noch stärker in flexible, lokal spezialisierte Produktionsagenturen zu verwandeln. Für diesen Strukturwandel aber, der von anderen Institutionen nicht geleistet werde, fehle das Geld. Viele Teilnehmer lobten den "Tanzplan Deutschland" – eine über fünf Jahre hinweg mit 12,5 Millionen Euro ausgestattete Initiative der Kulturstiftung des Bundes – als vorbildliches Netzwerk, das die enge Verknüpfung bestehender politischer Strukturen mit neuen Produktionsvorhaben modellhaft vorangetrieben habe. Für die ostdeutschen Kunstvereine überforderten häufig schon einfache Reisevorhaben innerhalb der Länder das verfügbare Budget. Für eine gemeinsame Entwicklung auf den Standort zugeschnittener Gegenwartskunstproduktionen fehle die Infra¬struktur. Und so war das Arbeitsergebnis der ersten Diskussionsrunde des Werkstattgesprächs keineswegs banal, sondern in seiner Einhelligkeit erstaunlich. Ein neu aufzulegendes Produktionsprogramm Ostdeutschland, das auch Infrastrukturmittel für standortübergreifende Kooperationen bereitstelle, vor allem aber den Aufwuchs einer dezentral wahrnehmbaren Kunstproduktion ermögliche, sei überfällig. Zugleich müsse diese Förderung verlässlicher sein und in längeren, effizienteren, auch für die Drittmittelakquise wirksameren Zyklen vergeben werden. Die Kritik an der gegenwärtigen Situation war unüberhörbar. Auch renommierte Institutionen mit überregionaler Wirkung kritisierten, dass es ihnen an flexiblen Förderinstrumentarien fehle, um die eigenen Produktionsanstrengungen experimentell weiter zu qualifizieren. Die bestehenden Förderangebote und die veränderte Kunstvereinsarbeit seien nicht mehr in Deckung zu bringen.

Was zunächst wie ein vorhersehbarer Ruf nach größeren Fördertöpfen klang, erwies sich so nach und nach als differenzierte Standortbestimmung. Immer wieder wurde deutlich, dass es nicht um einfache Projektanträge gehen dürfte, sondern um die Arbeit an neuen Modellprojekten. Susken Rosenthal vom Verein Kunstpflug Belzig beschrieb die Weiterentwicklung der Gesellschaftsform Verein als Arbeit im "vorgefundenen Vakuum", in dem "Prototypen" neuer "Kunstmodelle" zu entwickeln seien. Frank Motz von der ACC Galerie Weimar beschrieb drastisch die kunstfremden Interessen und Kriterien, denen seine Arbeit inzwischen unterworfen sei und wollte die Vereine stärker als aktive Akteure betrachtet sehen. Gerade dies sei es, was "im Prinzip den Kunstverein auszeichnet gegenüber dem Museum, gegenüber der unfreien wettbewerblich agierenden Galerie und gegenüber der Stadtkunsthalle", nämlich "frei Aufträge erteilen" zu können, "sich selber Aufträge zu geben". Britt Schlehahn vom Kunstverein Leipzig mahnte unter diesen Prämissen die maßgeschneiderte Reaktion auf lokale Präferenzen und Traditionen an. Eine Ausstellungshalle allein, so der Konsens, verfehle ihre Wirkung. Die stärkere Nachfrageorientierung setze aber auch maßgeschneidertere Produktionsmodelle voraus.

Was am Ende in zwei unterschiedlichen Arbeitsgruppen skizziert wurde, war ein Aufbruch, der nicht nur die Kulturpolitik, sondern auch die Kunstvereine verändern müsse. Immer weniger sei zu erwarten, dass Kunstvereine als mitgliederstarke Institutionen bürgerlicher Selbstrepräsentation agieren könnten. Immer stärker setze sich die Erkenntnis durch, dass die Vereine im Osten Deutschlands, die häufig nicht mehr als 50 bis 100 Mitglieder haben, in Wahrheit hochbewegliche und reaktionsschnelle Agenturen für einen neu zu begründenden lokalen Kunstdiskurs seien. Sollten die Vereine aber auf diese Art den globalen Kunstdiskurs und seine Maßstäbe auf lokale Ansprüche übertragen und einen lokalen Diskurs wiederbegründen, müssten sie ganz andere, neue Wege beschreiten, die nicht dem üblichen Projektantragsverfahren zu unterwerfen seien. Mathias Lindner vom Verein Neue Chemnitzer Kunsthütte forderte vehement eine unbürokratischere Förderstruktur. Sinnvoll sei eine mehrjährige Produktionsförderung, in der nicht der Antragsaufwand den Nutzen überschreite. Ein gutes Modell sei es, durch ihre exzellente Praxis qualifizierten Vereinen eine mehrjährig ausgesprochene Produktionsförderung von 20.000 Euro jährlich zuzuerkennen, in deren Rahmen die jeweiligen Standorte eine eigene Identität als Produktionsstätten bildender Kunst entwickeln könnten. Eine überregionale Koordinationsstelle solle diese Aktivitäten koordinieren und Serviceleistungen bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit anbieten. Statt thematischer Vorgaben sollten die regionale Investition und die Verdichtung der Netzwerke im Vordergrund stehen.

Das war aber nun alles? Wäre das alles gewesen, hätte das Werkstattgespräch einen höchst pragmatischen Ansatz für die Qualifikation ostdeutscher Kunstförderung erbracht. Das auf neuen Wegen zu motivierende Publikum für experimentelle, diskursorientierte Kunstformen würde die Identität der ostdeutschen Kunstszene von morgen mitprägen und den Identitätsverlust der Standorte in den Neuen Ländern aufhalten. Das Gespräch brachte aber einen weiteren Lösungsvorschlag hervor, der als Etappenziel auf dem Weg zu neuen Produktionsformen zu verstehen ist. Ein von der Kulturstiftung gefördertes Netzwerkgründungstreffen sollte etwa zwanzig Vereine versammeln, um in Arbeitsgruppen Kriterien und Verfahrensweisen einer neuen Produktionsförderung auszuarbeiten. Gleichzeitig sollte so ein Netzwerk entstehen, in dem Vereine wechselseitig gemeinsame Ressourcen nutzen könnten. Mathias Lindner sah das auch als Vertrauensbeweis in die Akteure vor Ort. Die Aufnahme ins Netzwerk sei ein Statement: »Wir trauen euch das zu«, heiße das, und sei »ein klares Bekenntnis zur strukturellen Arbeit« und keine Dauerdiskussion über Einzelprojekte. So wüchsen die Vereine zu Trägern einer neuen Kunstdebatte in den ostdeutschen Ländern heran. Daran, dass eine solche Abkehr von der Vereinzelung und vom Schattendasein im Vergleich zu anderen Kultursparten der einzige Weg sei, die neuen Bundesländer auf der Landkarte des internationalen Kunstdiskurses zu halten – daran hatte die Tagung keinen Zweifel gelassen. Gerrit Gohlke


Dokumentation der Werkstattgespräche: Download
Sonntag, 31. Oktober 2010