Strömungswiderstände
Die Abbildungen sind Symbolbilder als Platzhalter der tatsächlich gezeigten Werke. Sie sind eingeladen, die ausgestellten Arbeiten im Ausstellungspavillon anzusehen.
Flow Resistance
Über den Strömungswiderstand der Malerei
Ausstellung im Pavillon auf der Freundschaftsinsel,
8. Juli bis 3. September 2023
Malerei ist die Kunstgattung, die sich am wenigsten digitalisieren lässt. Lassen sich von Performances Aufzeichnungen anfertigen, Skulpturen in den unterschiedlichsten Perspektiven fotografieren und Installationen räumlich dokumentieren, bleibt jede gemalte Oberfläche in einer digitalen Abbildung ein Phantombild. Transparenz oder Undurchsichtigkeit des Farbauftrags, die Spuren von Überschleifungen und Glättungen, tiefere Schichtungen unter vordergründigen Flächen, auch die Indizien für Schnelligkeit oder Zögerlichkeit der Bearbeitung – alles wird eingeebnet in der Reproduktion. Nicht die Malerei ist in ihrem digitalen Abbild zu sehen, sondern ein geisterhaftes Icon. Die Reproduktion fasst die Malerei zusammen wie eine Inhaltsangabe. Und sie beschleunigt das langsame, physische Medium auf das Niveau der zeitgenössischen Bildzirkulation.
Dass Instagram zu dem Medium geworden ist, in dem Malerinnen und Maler am häufigsten frisch entstandene Arbeiten präsentieren, ist so gesehen nicht ohne Ironie. Ein Werk, das wochenlangen Korrekturprozessen unterzogen wurde, wird in eine Timeline eingefädelt, in der die exakt gegenteiligen Aufmerksamkeitskriterien gelten als in der ganzen, langen Tradition des Mediums Malerei. Sogar für die reduzierteste Malerei galt schließlich immer, dass selbst schnell zu begreifende Geometrien unweigerlich im Wettstreit mit der physischen Präsenz der Bildtafel standen. Ein metergroßes schwarzes Dreieck auf weißem Grund ist nicht nur ein Zeichen, sondern eine Herausforderung an den Standpunkt derjenigen, die es betrachten. In der digitalen Timeline dagegen, in sozialen Medien, den Online-Verkaufskanälen von artnet oder Sotheby’s, in digitalen Show-Rooms der Messen oder Museen ist eine Geometrie so wirksam wie ein Verkehrsschild, im Nu wahrgenommen, instant rezipiert. Das Bild wird zum Plot.
Wer malt, zeigt nicht nur die eigenen Werke in dieser limitierenden Form, sondern auch die der anderen. Was biete ich meinen Followern aus einer Ausstellung, aus einem Museum dar? Was fällt mir auf? Was nehme ich bereits bevorzugt wahr, weil es reproduzierbar ist? Was lasse ich zurück, weil es nicht erklärbar wird? Je mächtiger der digitale Raum wird, desto machtloser wird Kunst, die digital keine Pointen setzt. Kunst für die Timeline hat Vorrang im Diskurs. Werke, die digital zirkulieren, überholen Werke, für die ich reisen und deren Präsenz ich aushalten muss.
Die Ausstellung ist so gesehen eine Geste des Trotzes. Sie ist einerseits selbst eine Timeline. Sie bildet den Fluss der Bilder nach. Alle paar Tage werden ihr ein oder mehrere Bilder hinzugefügt und auf einem neutralen Bildträger hinter das Glas unserer Ausstellungsarchitektur gehängt. "Flow Resistance" ahmt nach, was wir jeden Tag mit dem Daumen vom Jetzt in die Vergangenheit scrollen. Aber die Künstlerinnen und Künstler, die zu ihr beitragen, schlagen selbst Werke vor, die sich der ikonischen Verwertung im digitalen Medium trotzig, beiläufig, ignorant, tänzelnd, tückisch, strategisch, gleichgültig, spielerisch, meditativ oder materiell entziehen. Die Timeline an der Wand besteht darauf, der Timeline, in der sie sich digital spiegeln wird, nicht zu entsprechen. Die Ausstellung zeigt Bilder mit unsichtbaren oder sichtbaren Widerhaken. Eine Gemeinschaft störrischer Körper, geronnener Zeit, einander überlagernder Chiffren oder vermiedener ästhetischer Markenzeichen, die – jedes Werk für sich – Fragen aufwerfen an die Art, wie wir körperlos und beschleunigt Malerei konsumieren, vergleichen, handeln, bewerten, und miteinander weiterreichen. Hat die Malerei eine Antwort auf den Filter, für den sie immer unausweichlicher produziert?
Die Ausstellung wird am 7. Juli 2023 mit vier Arbeiten in geschäftsmäßiger Beiläufigkeit eröffnet und anschließend während der gesamten Ausstellungsdauer in schneller Folge weiter anwachsen. Sie ist also tatsächlich eine Timeline, eine Zeitachse ständiger Veränderung. Behängt wird eine 20 m lange Fläche, die vom Publikum von außen durch die Glasscheiben wahrgenommen werden kann. An zahlreichen Führungsterminen dagegen kann das Gebäude betreten werden. Wer bei solcher Gelegenheit den Korridor betritt, in dem die Werke hängen, ist für einen Moment selbst ausgestellt, sieht sich vor allem aber in ungewohnter Nähe und Intimität zu den Werken. In einer Direktheit also, wie sie im im Atelier während der Produktion Alltag ist. Hat sich die Hängung dann verdichtet, werden die Exponate nach und nach in den Innenraum überführt und wachsen dort zu einer Ausstellung an, die in den letzten 14 Tagen zu den gewöhnlichen Öffnungszeiten zugänglich ist. Im Innenraum bekommt die Timeline für dieses Mal also ein Gedächtnis. Hier sammelt sich organisch an, was sich sonst in der Timeline versendet.