Maja Drachsel: Malerei
1, 3, 5, 6, 7, 11
Fotos: Herbert Boswank
2, 6, 8, 10, 12
Fotos: Michael Lüder
/ BKV Potsdam
4
Foto: Maja Drachsel
Was eine Figur ist und wieviel Macht der malerische Prozess über sie hat, steht keineswegs fest, sondern ist Teil eines offenen Experiments, das immer wieder zu neuen Ergebnissen führen kann. Die Versuchsanordnung bezieht immer die Betrachterinnen und Betrachter ein, die ihren eigenen Umgang mit Drachsels Zwischenwesen finden sollen. Diese Kunst handelt Autonomie für sich aus, ohne je autoritär sein zu wollen. Sie ist ein Angebot, das beiläufig die kritische Frage stellt, wie viel Machtgesten sich in der Kunstgeschichte verbergen, denen eine offenere Malerei ausweichen kann.
"Maja Drachsels Ausstellung heißt lapidar Malerei, weil wir die Bilder in diesem Raum nicht in ihrer Ruhe stören wollten. Titel hätten wir viele finden können. Unausweichliches Schweben vielleicht. Oder Spekulationen über den Mittelgrund. Das Leben zwischen den Konturen wäre womöglich ein guter Hinweis darauf gewiesen, wo auf den Leinwänden das Auge seine Suche beginnen kann, wenn die dargestellten Bildgegenstände hinreichend gesichtet sind und schleichend der Verdacht aufkommt, dass diese Malerei ihren Energieüberschuss in Nebenflächen und Farbschattierungen investiert, statt in Themen und Hauptfiguren.
Statt einer zentralen Aussage entsteht aus dieser über die Leinwand verteilten Aufmerksamkeit ein natürliches inneres Gleichgewicht, fast wie beim Wasserspiegel in einem System kommunizierender Röhren – ohne dass sich genau erklären ließe, wie es dazu gekommen ist. Die Bilder strahlen eine Ruhe aus, die nicht erarbeitet wirkt, sondern unvermeidlich. Als hätte sich ein Werk nach dem anderen in einem nicht mehr nachvollziehbaren Prozess angereichert und zu dem heute beobachtbaren Zustand verdichtet, über dessen Verlauf und Bedeutung allenfalls Indizienbeweise möglich sind. Da sind die Bilder. Hier sind wir. Und die analysierende, beschreibende Sprache muss sich Brücken bauen, weil Bildern voller Spuren, halbdurchlässiger Schleier, ausgewaschener Einfassungen oder lakonischer Spielfeldmarkierungen mit summarischen Zusammenfassungen schwer beizukommen ist. Überschriften täuschen, wenn man zwischen den Zeilen lesen muss wie in den Chiffrengemischen und Farbbalancen dieser Ausstellung, deren Titel „Malerei“ vor allem als höfliche Aufforderung zu verstehen ist, Ihren Augen zu trauen.
Darauf eigens hinzuweisen, erscheint eigentlich unnötig. Wer in eine Malereiausstellung geht, schaut schließlich hin. Was sonst wäre zu erwarten? Es ist eben nur so, dass die meisten Bilder, die um uns herum in Umlauf sind, dazu dienen, etwas zu beweisen. Zeitungsbilder, Fernsehbilder, Insta-Bilder, Werbebilder. Allen ihnen ist es streng untersagt, den Überschriften und Hashtags zu widersprechen, denen sie zugeordnet werden. Sie enthalten auch keine Elemente im Hintergrund oder zwischen den abgebildeten Personen, die sich nicht befriedigend erklären lassen und mehr Fragen aufwerfen, als das Bild beantworten soll. (Wenn doch, ist der Bildredaktion ein gravierender Unfall passiert.)
An gerade diesem Punkt aber wird die „Malerei“, die keine Überschrift wollte, auf besondere Art interessant. Denn es gibt durchaus Malerei, die sich mit ausgestreckten Ellenbogen gegen die Dienst- und Funktionsbilder behauptet. Die um ihre Akzeptanz in der Kultur der Zeichen mit harten Bandagen kämpft. Gemälde wie Markenzeichen. Weltrekordbilder der Popgeschichte, in jedem Medium reproduzierbar und geeignet für die Tourismuskampagnen der Museumskonzerne. Die Malerei in dieser Ausstellung aber legt es darauf an, die fassbaren Motive, die Referenzen aus anderen Bildern, die Bildvokabeln, die wir seit der Erfindung des Tafelbildes nach und nach auswendig gelernt haben, zu Chiffren zu reduzieren. Umrisse anzudeuten. Körper zu schematisieren, bis sie Erinnerungen an andere Körper evozieren.
Maja Drachsels Figuren sind keine Symbole. Sie sehen manchmal wie Ikonen aus, verweisen aber auf keine christliche Transzendenz, sondern nur auf die Hoffnung, dass das Inventar der Welt und all unsere Erwartungen und Erfahrungen in dem verlangsamenden Medium Malerei zum Ausgleich der Kräfte finden könnten. Schlierige Flächen, aufs Bild geräumte Möbelstücke, die sich sogleich aufzulösen beginnen, skizzierte Objekte, die hinter der größeren Aktualität strahlender Farben zurückstehen müssen, bieten sich den wechselnden Aufmerksamkeiten dar, ohne sich in ein Programm malerischer Behauptungen einzufügen und darauf zu beharren, abschließend interpretiert werden zu wollen.
Es ist nur Malerei, sagt die Malerin – schon im Ausstellungstitel. Das heißt: wo immer Sie anfangen, in den Bildern zu lesen, liegen Sie richtig. Ja, auch da in der Ecke, wo es nichts zu sehen gibt, außer einer wolkig violetten Verdichtung, wie eine Verpuffung aus dem daneben zerfließenden zarten Rosé implodiert. Sie haben alle Freiheiten, sagt diese Malerei mit leiser Bestimmtheit, selbst zu entscheiden. Es kommt weder auf Ihre Kenntnisse noch auf Ihre Meinung an oder darauf, dass Ihnen Expertinnen und Experten bestätigen, dass Maja Drachsel auch eine Handwerkerin ist, die praktisch alles auf jede Weise malen kann und es nicht muss. Es ist mit diesen Bildern wie zwischen Menschen. Alle sechzehn Bildern überlassen es Ihnen, wie aufmerksam Sie sein wollen. Sie können sich nur überraschen lassen, wenn Sie noch nicht wissen, was Sie suchen."
Gerrit Gohlke
Maja Drachsel ist in Hennigsdorf geboren und in Glienicke nahe Berlin aufgewachsen. Sie hat in Dresden an der Hochschule für Bildende Künste unter anderem bei Elke Hopfe, Siegfried Klotz und Peter Bömmels studiert und war Meisterschülerin bei Elke Hopfe und Christian Macketanz. Heute ist sie künstlerische Mitarbeiterin der Hochschule, an der sie die Werkstatt für Maltechnik leitet. Zahlreiche Ausstellungen seit 2010.
Künstler:innen-Gespräch
Ein Gespräch über das Nichtmonumentale
Ein Gespräch mit Maja Drachsel, Emmanuelle Castellan und Manuel Kirsch, moderiert von Gerrit Gohlke, über Arbeitsweisen und Strategien des Nichtmonumentalen in der Malerei.
Am Pfingstsonntag, 28. Juni 2023, 16 Uhr
Die Ausstellung ist Teil einer Serie, die sich mit der Entwicklung und veränderten Rolle der zeitgenössischen Kunst in Brandenburg befasst und dabei besonderes Augenmerk auf den Austausch zwischen Menschen, Regionen und Methoden, aber auch auf unterschiedliche Herkünfte, Produktionsweisen und künstlerische Biografien legt.