Jochen Dehn: Performance auf der Freundschaftsinsel

Fotos 1, 3, 5, 7, 9, 10, 12, 13, 15-21, 23, 27-29, 33

Foto: BKV Potsdam e.V.

Fotos 4, 8, 11, 14, 22, 24-26, 30-32

Foto: Jochen Dehn

Fotos 2 & 6

Courtesy: Wikipedia, Creative Commons

Über Racetrack Playa und die Schönheit wandernder Steine
Manchmal dauert ein Performance-Abend Monate. Denn auch wenn der 1968 geborene und in Paris lebende Künstler Jochen Dehn nur eine knappe Stunde im Ausstellungspavillon auf der Freundschaftsinsel auftrat, begann seine Performance über Racetrack Playa, die Schönheit wandernder Steine und die Unerklärlichkeit von Angst und Freundlichkeit viele Monate zuvor, als er eine Ulme in der Lausitz ausgrub, zerlegte und den tranchierten Baum auf eine lange Reise schickte. Und so handelt die Performance auch nicht allein von Racetrack Playa, dem entlegenen Ort in der kalifornischen Mojawe Wüste, an dem die Steine wandern, sondern mehr noch von unseren Erwartungen an den Künstler und seine Rolle, die Frage, was ein Objekt in Kunst verwandelt und die Anpassung der Kunst an die Betrachter oder die Anpassung der Betrachter an die Kunst.
Künstler:  Jochen Dehn

Bei einer Performance, die so lange dauert, mag es dann kein Wunder sein, dass das Publikum erst mit Verspätung begriff, dass die Performance schon lange begonnen hatte, als es noch immer auf den Anfang wartete. Es war Dehn selbst, der mit allerlei Verschleierungstaktiken zu dem Missverständnis beigetragen hatte, in dem er entschuldigend, erläuternd, im Selbstgespräch, mit kurzen Hinweisen und den verschiedensten Handgriffen weitere Vorbereitungen ankündigte. Um Racetrack Playa sollte es gehen, den Flecken Wüste im Nordwesten des kalifornischen Death Valley, an dem bis zu 350 Kilogramm schwere Felsbrocken sporadisch über eine ausgedörrte Ebene wandern und bis zu einem Kilometer lange Spuren in den Boden kerben. Niemand hat die Bewegungen beobachtet. Typischerweise finden sie im Winter statt. Doch, auch wenn am Ende niemand so recht zu wissen scheint, ob die Performance wirklich eine Performance war, die am Boden ausgebreiteten Bewegungsdiagramme der Steine wirklich Diagramme seien und es tatsächlich einen Ort namens Racetrack Playa gebe, hegt die Fachliteratur keinen Zweifel an der Spur der Steine in der Wüste, auch wenn eine letzte schlüssige Erklärung für die Wanderung unter dem Einfluss von tiefen Wintertemperaturen und Stürmen weiter fehlt.

Dehn jedenfalls zitiert Paula Messina, die Doktorandin, die die Bewegungsbahnen der Felsstücke dokumentierte, auch wenn die starke Erosion nach kurzer Zeit die Spuren auszuradieren pflegt und Langzeitbeobachtungen zu einem wissenschaftlichen Kunststück macht. Dehn interessiert nicht, ob es Bakerien sind, die einen Schmierfilm erzeugen, der gewissermaßen unmerklich die Steine von unten einseift und so ihre Bewegung erleichtert. Jedenfalls erfährt das Publikum in Potsdam von den neuesten Hypothesen der amerikanischen Geologen nichts. Dehn interessiert, welcher Stein der schönste, oder vielmehr, welche der publizierten, leicht pixelverzerrten Bewegungsspuren die schönste sei. Für einen Moment scheint es, als kenne er jeden Stein bei seinem weiblichen Vornamen. Es dauert lang, ihm bei der Suche nach der favorisierten Spur zuzusehen, die schleichenden Selbstkorrekturen, steten Verbesserungen, bedächtigen Abwägungen zu beobachten, mit denen Dehn nach und nach und unter unverhohlenem Genuss den Glaubwürdigkeitskredit verbraucht, den ein wohlmeinendes Kunstpublikum jedwedem Erklärungsversuch jedweden Faktums entgegenbringt, weil es nach Orientierung sucht.

Dehn nutzt aus, dass Kunst immer ein wenig mehr an Glauben und Einverständnis, Kollaboration und Rückhalt für die Verwunderlichkeiten des Geniehaften appelliert als an Vernunft, Verstand und Plausibilität. Er verwandelt sich in einen Erklärer, wie es viele Erklärer im Betriebssystem Gegenwartskunst gibt, und er erklärt das Phänomen und sich selbst so sehr in Grund und Boden, dass Künstler und Steine nach und nach selbst im Raum erodieren, bis als letzter Halt, der im Raum umherwandernde, sich anlehnende, Geste exerzierende Künstler ist, eine schutzlose Gestalt, der das Publikum immer neue kunstsinnige Plausibilitätskredite nachschießt, selbst als alle schon wissen, dass dem Geheimnis der Steine heute Abend kaum noch beizukommen ist, sondern es mehr darum geht, dass eine Reihe halbplausibler Behauptungen gefahrlos und wenn möglich unterhaltsam über den Abend zu retten sei. Wie sonst auch. Wie immer, wenn das Kunstsystem die Zweifel einebnet oder das Publikum sich die Einebnung seiner Zweifel wünscht. Die Kollaboration mit Dehn, der die Zuschauer einzeln anspricht, ihnen seine Steine nahebringt, über die Merkwürdigkeit der allseitigen Freundlichkeit spricht, an Ängste erinnert und en passant seine Rolle beschreibt, wird zum Hauptgegenstand, zu einer gemeinsamen kooperativen Beschäftigung.

Irgendwann meint man, das sei vielleicht die Kunst, die gemeinsame Wahl eines abgesicherten Rahmens, in denen sich gemeinsam ein verbindlicher Glauben an Ästhetik und letzte Kompetenzen, Definitionsmacht und rare Einsichten schaffen lässt. Es geht Dehn offenkundig nicht darum diese seltsame Metaphysik zu entlarven oder gar zu zerstören. Es geht vielmehr um die Angst, dem Kaiser die falschen Kleider auszuziehen, um die Sprachlosigkeit gegenüber dem Rollenspiel, dass Dehn mit Objekten und Performances in Sprache umsetzt. Es geht überhaupt erst einmal darum, da ist Dehn eine Art Vermessungspionier wie Paula Messina, das Rollenspiel Kunst in einen geschmeidigeren Aggregatzustand zu versetzen. Dehn schmilzt die Sicherheiten ein und gewinnt Komik, Beobachtungsschärfe, Täuschungs- und Enttäuschungskompetenz. Am Ende ist es, als habe man einer Entspannungsübung beigewohnt. Die Objekte im Ausstellungsraum sind nun alles Denkbare. Undenkbar ist allein, dass jemand darüber entscheiden könnte. Ein gute Anfang. Für was auch immer. Ist das nicht Kunst?
 

Link zur Biografie Jochen Dehns, mit einer Liste der Performances, Theaterarbeiten und Ausstellungen.
Text: Gerrit Gohlke

Samstag, 18. Januar 2014