Heidi Sill: Ähnliche Wirkungen

Fotos 1, 6, 8 + 13
Heidi Sill
Aus der Serie "skins", 2006
Courtesy: Heidi Sill
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012
Foto: BKV Potsdam e.V.
Fotos 2, 5, 9 + 15
Ausstellunsgansichten "Heidi Sill: Ähnliche Wirkungen"
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012
Foto: BKV Potsdam e.V.
Fotos 3, 7 + 11
Heidi Sill
Foto: Gerrit Gohlke
Fotos 4, 10, 12 + 14
Darstellungen aus dem Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Essen
Frakturskizzen
(Skizzen aus verschiedenen Sektionsprotokollen)
Foto: BKV Potsdam e.V.
(Zweiter Teil des vierteiligen Ausstellungsprojekts Art + Science: Modell und Imagination)
28. Mai 2006 bis 25. Juni 2006
„Ähnliche Wirkungen“ von Heidi Sill ist die zweite Austellung eines vierteiligen Projekts, in dem der Brandenburgische Kunstverein Potsdam vier Künstlerinnen und Künstler dazu einlädt, im Ausstellungsraum gegeneinander anzutreten. Statt eine gemeinsame Sprache für ihre ganz verschiedenen Ziele oder Arbeits- weisen zu finden, stellt jede der beiden Parteien ihre ganz spezifische Sicht auf ein gemeinsames Thema dar, ohne die Differenz wissenschaftlicher und künstlerischer Arbeit zu verleugnen. So erfahren die Betrachter nicht nur höchst unterschiedliche Ansichten über so elementare Themen wie die Ver- arbeitung von Information, unsere Sprache oder den Tod. Sie lernen auch die unter- schiedlichen Möglichkeiten und Grenzen von Wissenschaft und Kunst kennen.
Künstler:  Heidi Sill
Kurator:  Gerrit Gohlke
Projekt: 
Art & Science
Ausstellungsort:  Luisenforum
Eröffnung:  Samstag, 27. Mai 2006 , 19:00
Im zweiten Teil der Reihe hat sich die in Fürth geborene und vor allem durch subtile soziale Interventionen, Videos und Collagen aufgefallene Heidi Sill mit dem gewaltsamen Tod einem scheinbar spektakulären Thema zugewandt. Anders als in den Unterhaltungsmedien wird jedoch bei ihr die gerichtsmedizinische Perspektive nicht zu einem detektivischen Nervenkitzel. Auf großformatigen, einen Meter hohen Zeichnungen entsteht vielmehr eine vorsichtige Spurensuche nach der Gestalt des Opfers.

In einem Verfahren, das die Künstlerin zuvor an den Idealgestalten aus Werbung und Mode erprobt hatte, fertigt sie zeichnerische Silhouetten nach fotografischen Vorlagen an. Was den Gerichtsmedizinern als Beweismittel dient, eine aus immer gleicher Frontalperspektive aufgenommene Porträtfotografie des Opfers, wird nun zur überlebensgroßen Silhouette, aus der die herkömmlichen Identifikationsmerkmale eines Gesichts wie Augen und Mund entfernt worden sind. Die Künstlerin projiziert für eine einzige dieser Zeichnungen die markanten Umrisse von etwa dreißig gerichtsmedizinischen Porträts übereinander, bis aus der Bündelung unzähliger Linien so etwas wie eine Zusammenschau der verschiedenen, zu polizeilichen Fällen gewordenen Individuen entsteht. Die Kunst unternimmt auch eine Annäherung an das, was der Gerichtsmedizin versagt bleiben muss: Die Wiederherstellung der zerstörten Gestalt.

Heidi Sill arbeitet damit grundsätzlich kaum anders als die Mediziner, mit denen sie in einen Dialog getreten ist. Sie sucht Spuren, zeichnet Befunde auf und legt fast schematisch empirische Datenbestände an. Anders als in der forensischen Wissenschaft führt dieses Verfahren jedoch nicht zu einem sicheren Beweis der Fakten, sondern erzeugt ein Gegenbild zum Tatbefund. Folgerichtig unterscheidet sich der Ausstellungsbeitrag der wissenschaftlichen Partner um Wolfgang Mattig, den Direktor des Brandenburgischen Landesinstituts für Rechtsmedizin, gar nicht in seinem grundsätzlichen Instrumentarium von der Perspektive der Kunst, sondern in dem andersartigen Interesse, das die Medizin verfolgt. Für die Ermittlung typischer Bruchverläufe bei Schädelfrakturen etwa werden die Skizzen verschiedener Befunde mit Hilfe des Computers übereinandergelegt, bis sich der typische Frakturverlauf beschreiben lässt. Die Schematisierung erweist sich als hilfreiches Mittel für die wissenschaftliche Analyse. Die Skizzen der Brandenburger Rechtsmediziner zeigen nicht nur das Wissen um die Gesetzmäßigkeiten, mit der Gewalt auf den Menschen einwirkt. Sie suchen auch nach den modellhaften Ähnlichkeiten, mit denen sich das Einzelbeispiel strukturell entschlüsseln lässt.

Damit zeigt die Ausstellung im Luisenforum zwei unterschiedliche Modelle mit vergleichbaren Mitteln. Heidi Sills Spurenlese zwischen den Befunden widmet sich dabei ebenso ernsthaft den vorgefundenen Fakten wie Wolfgang Mattigs nüchtern-morphologische Beschreibung der Regeln, mit denen sich das Unvorstellbare präzise erfassen lässt. Die Ausstellungsbesucher erhalten die Möglichkeit, abwechselnd die künstlerische und die wissenschaftliche Perspektive einzunehmen und nicht nur zu erfahren, wie Kunst und Wissenschaft in einen Dialog eintreten können, sondern wie sich die Kunst mit Hilfe der Wissenschaft und die Wissenschaft mit Hilfe der Kunst betrachten lässt.

Der Brandenburgische Kunstverein Potsdam und die Künstlerin danken für ihre Mitarbeit und tatkräftige Unterstützung Herrn Med.-Rat Priv.-Doz. Dr. med. Wolfgang Mattig und Frau Anette Müller vom Brandenburgischen Landesinstitut für Rechtsmedizin sowie Herrn Tim Suslik, Doktorand an der Medizinischen Fakultät der Charité-Universitätsmedizin Berlin, sowie Herrn Prof. Dr. med. Helmut Maxeiner für die Bearbeitung und Bereitstellung der ausgestellten Kumulativskizzen.