Drawn alone
Fotos:
Michael Lüder /
BKV Potsdam
Wenn die politischen Polarisierungen, die kalkulierten Zuspitzungen, die automatisierte Empörung uns mit unausweichlicher Effizienz verfolgen, wer übt dann die Gegensprache? Wer verlangsamt die hysterischen Reflexe? Wie lassen sich die grellen Kontraste mit weichen Gradationen infiltrieren? Ist die langsame, ihr Ziel noch suchende Bewegung der zeichnenden Hand nicht eine wirksame Befehlsverweigerung in einer Welt, die Wahrheiten in sich hineinstopft wie Convenience Food?
Haben die Heillosigkeiten und Massenhypnosen, das politisches Grauen und die Autokratie (aber auch Herrenattitüden in der Kunst selbst) nicht immer schon künstlerische Widerstandsreflexe aktiviert? Der Surrealismus in Literatur und Kunst entstand in der Zeit des Ersten Weltkriegs und blühte dann in den 1920er-Jahren auf, geprägt von Kriegstraumata und befördert durch die Vorahnung kommender Krisen – als utopische Neuzusammensetzung der Welt, als Anerkenntnis des Unbewussten, als Brücke zwischen Traum und Wachzustand, Vernunft und einem doch nicht verstummenden Erfindungsvermögen.
Diese Ausstellung stellt keine Gruppe aus, keine kollektive Bewegung, sondern versammelt höchst individuelle Strategien, oder mehr noch praktische Handlungsformen, mit denen Künstlerinnen und Künstler sich in einer Umgebung postfaktischer Marktschreierei und entfesselter Aggression behaupten. Was entsteht im Atelier mit archaischen Mitteln, während draußen die Bilder explodieren? Was soll man tun, während die Geschichte sich zwar nicht wiederholt, die Vielzahl der globalen Schrecknisse sich aber proportional umgekehrt zu ihren Lösungsmöglichkeiten verhält?
Gibt es Widerstand mit Wasserfarbe oder Tinte in einer Welt der rhetorischen Radikalisierung? Welchen Raum kann sich das Subjekt, das zum Zeichenstift greift, umgeben von strategischer Sprache erobern? Gibt es in der Intimität der künstlerischen Selbsterkundung Mittel gegen das Primat der ständigen Beschleunigung unserer Reflexion? Was zeichnet die Hand, die sich von sachlichen Zwängen und faktischen Schrecken freistellen muss, um zu produzieren, ohne sich aber naiv vom Politischen zu befreien? Wie verhält sich hundert Jahre später die surrealistische Närrin, der fantastische Narr zum Höllenrealismus der Nachrichtenlaufbänder?
Gibt es eine Großzügigkeit des Denkens in der Enge der Blasen?